Tobias Bachmann
hat sich für die Triathlon-Weltmeisterschaft in Südafrika qualifiziert.
Seit einem Einbruchversuch im Dezember wurde die Schaufensterscheibe der Goldschmiede W.Fleischmann in der Altstadt nicht ersetzt. Das hat seinen Grund. Inhaberin Adeline Fleischmann wird Ende Mai das Geschäft an der Münzgasse nach 55 Jahren für immer schliessen. ¶
Winterthur Die Winterthurer Altstadt verliert ein weiteres, alteingesessenes Unternehmen. 55 Jahre nach dem der vor fünf Jahren verstorbenen Walter Fleischmann an der Münzgasse eine winzige Ladenfläche von zehn Quadratmetern eröffnete, schliesst seine Frau Adeline im Mai den 1985 vergrösserten Traditionsbetrieb. «Als ich meinen Mann einmal gefragt hatte, wie lange ich in unserem Geschäft noch weiter arbeiten solle, schlug er mir vor, bis zu meinem 100. Geburtstag – jetzt gehe ich eben frühzeitig in Rente», lacht Adeline Fleischmann.
Mit einem Funkeln in den Augen, lebenslustiger Ausstrahlung und um jede Jahreszahl und Episode wissend, erzählt sie aus der bewegten Vergangenheit. In Oberwinterthur aufgewachsen, absolvierte sie nach der obligaten Schulzeit eine Lehre bei den SBB. «Wir waren die ersten vier Mädchen, die in diese damalige Männerdomäne eindrangen und unter anderem alle Haltestellen von Romanshorn bis Genf auswendig wissen und über den Fahrplan in allen Landessprachen Auskunft geben mussten», erinnert sich die Tochter eines Winterthurers und einer Französin. Nach der Ausbildung arbeitete sie sich bis zur SBB-Betriebsbeamtin hinauf. Im Alter von 19 Jahren lernte sie ihren späteren Ehemann Walter Fleischmann kennen. «In Kreuzlingen lernte er bei einem Berliner Meister das Handwerk eines Edelsteingraveurs und war danach hierzulande der einzige seines Faches.» 1969, sechs Jahre nachdem Walter Fleischmann an der Münzgasse sein Geschäft eröffnet hatte, gab Adeline Fleischmann ihren Job bei den Bundesbahnen auf. Unterdessen Mutter zweier Töchter half sie ihrem Mann fortan nicht mehr nur als Buchhalterin, sondern auch an der Kundenfront im Laden. «Ich hatte den Kontakt mit den Mitmenschen bereits bei der Bahn geliebt und konnte dies hier genau so weiter pflegen», sagt sie.
Während Walter Fleischmann Gravuraufträge mitunter für das thailändische und belgische Königshaus ausführen durfte, wurde das Angebot rasch einmal um ein Goldschmiedeatelier erweitert. Insgesamt bildete das Gold- und Juwelengeschäft W. Fleischmann 29 Goldschmiedelehrlinge aus. Einer davon war Dieter Müller, der 1978 seine vierjährige Ausbildungszeit im dritten Obergeschoss an der Münzgasse 2 begann. Ein Jahr nach seinem Lehrabschluss eröffnete Müller sein eigenes Goldschmiedegeschäft an der Römerstrasse 233 in Oberwinterthur. 34 Jahre später erhielt er einen Anruf von Adeline Fleischmann. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie das Geschäft mit einer Goldschmiedin weitergeführt, die jedoch im März 2017 erkrankt war. «Ich war in der Klemme, weil die Kundenaufträge nicht ausgeführt werden konnten, daher bat ich Dieter um Hilfe», so Adeline Fleischmann. Weil die Goldschmiedin aufgrund der Krankheit ihre Arbeit nicht mehr aufnehmen konnte, wurde aus der spontanen Hilfeleistung Dieter Müllers eine dauernde Zusammenarbeit. «Er war meine Rettung, zumal es mit ihm einfach passte und auch meine Kunden sehr zufrieden waren und sind», strahlt Adeline Fleischmann.
Mit Dieter Müller hatte sie danach auch erste lose Nachfolgegespräche, zumal aus ihrer Familie niemand Interesse zeigte, den Laden zu übernehmen. Der Zeitpunkt der Geschäftsaufgabe wurde jedoch noch nicht definiert. Dies änderte sich im letzten Dezember schlagartig. Zwei Männer hatten nachts versucht, mit Vorschlaghämmern die Schaufensterscheibe zu zertrümmern, um in das Geschäft einzudringen. «Das war uns in den 55 Jahren zuvor nie passiert und löste nicht nur bei mir, sondern auch in meinem Umfeld, ein ungutes Gefühl aus», so Adeline Fleischmann. Sie beschloss daraufhin, im Mai aufzuhören. «Ich weiss meine Kunden, die wir allesamt mit einem Schreiben informiert haben, bei Dieter Müller in besten Händen, dies macht mir die Schliessung wesentlich einfacher.» Bis dahin wird die umtriebige Geschäftsfrau aber weiterhin jeden Tag im Laden stehen und zum halben Preis ihr Sortiment bis zum letzten Edelstein oder Lagerschmuckstück mit dem allseitig geschätzten Charme und Fachwissen veräussern.
George Stutz
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