Felix Helg
war einer von vielen Besuchern der Seemer Dorfet.
«Die Mandate, die ich wollte, habe ich auch bekommen», sagt Dieter Kläy im Gespräch. Bild: Sandro Portmann
Kaum ein Parteipräsident war so lange im Amt wie Dieter Kläy bei der FDP Winterthur. Nach 20 Jahren übergibt er den Stab an die neue Generation.
Politik Seine Sonntage sind für Velotouren reserviert, die Montage für den Kantonsrat und die Samstage für die Politik allgemein. Das Winterthurer Polit-Urgestein Dieter Kläy hat seine Zeit gut strukturiert. Das muss er auch, will er seinen zahlreichen Mandaten gerecht werden. Über 35 aktive Mandate erwähnt er auf seiner Website, die Liste ehemaliger Ämter ist beinahe ebenso lang. Auffallend ist, dass die Mandate thematisch breit gefächert sind und Bereiche wie Raumplanung, Sicherheit, aber auch Bildung und Gewerbe umfassen. Warum der 60-Jährige künftig doch nicht mehr Zeit hat, obwohl er das Amt als Parteipräsident der FDP Winterthur abgibt, sagt er im Interview.
Dieter Kläy, Sie haben und hatten so viele Mandate, ich habe den Überblick verloren …
Dieter Kläy: Ich auch. (lacht)
Das Amt des Parteipräsidenten der FDP Winterthur führten Sie unglaubliche 20 Jahre lang aus. Sie haben das Amt kürzlich mit zwei lachenden Augen übergeben, wie Sie sagten. Warum nur lachende Augen?
Diese 20 Jahre waren eine sehr gute Zeit. Es war ein Auf und Ab. Positiv ist, dass wir viel Nachwuchs in der Partei haben. Wir konnten den Vorstand massiv vergrössern und verjüngen. Die FDP hat viele Herausforderungen vor sich, aber ein Personalproblem haben wir nicht.
Und die Abs?
Zu den Abs zählen ein paar Wahlergebnisse. Aber seit 2018 gehen die Zahlen wieder rauf.
Gibt es andere politische Ämter, die Sie niederlegen?
Nein.
Gibt es wirklich kein weinendes Auge?
Nein. Ich bleibe ja in der Politik und habe noch mit den gleichen Leuten zu tun. Ich verstehe, dass es ein Verlust sein kann, wenn jemand ganz aufhört. Aber das mache ich noch nicht.
Zwei lachende Augen also. Was bleibt besonders positiv in Erinnerung?
Dazu kann ich die zwei Funktionen als Parteipräsident erwähnen. Das eine ist People-Business, also die Mitgliederpflege. Ich habe mit jedem neuen Mitglied einen Kaffee getrunken. Das waren unzählige Samstagmorgen, die ich mit Mitgliederpflege verbracht habe. Aber es war immer auch bereichernd. Das Zweite ist die Beziehungspflege nach aussen, konkret mit den anderen Parteipräsidenten. Da ist der Wechsel intensiver, im Schnitt sitzt alle vier Jahre ein neuer Präsident an derSpitze.
Gibt es Meilensteine, die Ihnen in Erinnerung bleiben?
Zäsuren gab es keine. Ich merke die rot-grüne Mehrheit, die in der Stadtpolitik ihre Punkte bei der Umgestaltung der Stadt setzt. Es ist anspruchsvoller geworden als vor zehn Jahren, das spüre ich. Aber es ist nicht alles falsch. Eine Zäsur sehe ich nicht. Natürlich gab es Wahlen, die nicht den gewünschten Verlauf nahmen. Aber das war nie ein grosses Thema. Die Politik ist ein langfristiges Geschäft, man muss dicke Bretter bohren und auch aushalten können. Langfristig überwiegt das Positive.
Warum geben Sie jetzt das Amt weiter?
Das hat einerseits einen technischen Grund. Wir haben einen Wahlreigen hinter uns. 2018 waren Gemeinderatswahlen, 2019 Kantonsratswahlen, dann Stadtratsersatzwahlen und wieder Erneuerungswahlen. Nun haben wir bis 2026 Ruhe, dann kommen die Gesamterneuerungswahlen in Winterthur. Das sollen neue Leute machen. Zweitens haben wir einen guten Zulauf von jungen Politikerinnen und Politikern. Es ist also eine gute Gelegenheit, das Präsidentenamt jetzt weiterzugeben.
Dabei heisst es, die Jugend verliere das Interesse an der Politik, was eine Studie 2018 sichtbar machte. Spüren Sie da einen Wandel?
Ja. Das Interesse ist wieder am Wachsen. Als Stadtpartei hat die FDP vier Sektionen (Altstadt-Töss, Veltheim-Wülflingen, Seen-Mattenbach und Oberwinterthur) sowie die Jungfreisinnigen und die Frauengruppe. Heute sind etwa 70 junge Personen aktiv Teil der FDP. Ich führe das einerseits auf den gesellschaftlichen Wandel zurück, etwa Aktionen wie die Klimakleber. Andererseits hat das auch mit dem Druck der rot-grünen Stadtpolitik zu tun. Die Jugend ist politischer als damals, als ich angefangen habe.
Sie haben viel erreicht, waren höchster Winterthurer und höchster Zürcher. Gibt es ein politisches Amt, das Sie noch reizen würde?
2006 habe ich für den Stadtrat kandidiert. Mir erging es wie Romana Heuberger im Februar 2022. Ich wurde als Achter gewählt und schied als Überzähliger aus. Im Nachhinein war das aber gut. Dies ermöglichte mir erst die Ämter, die ich danach ausüben konnte.
Gibt es ein Amt, das Sie noch reizen würde?
Nein, ich bin beruflich an einem spannenden Ort. Seit dem 8. Mai bin ich neu in der kantonsrätlichen Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit. Das ist wie ein neuer Job. Die Mandate, die ich wollte, habe ich auch bekommen.
Die nächsten Wahlen für den Kantonsrat sind 2027. Werden Sie kandidieren?
Es ist zu früh, um diese Frage zubeantworten.
Das Amt als Parteipräsident ist zeitaufwendig. Was machen Sie nun mit der gewonnenen Zeit?
Man muss sich keinen Illusionen hingeben. Die Zeit wird in andere Ämter fliessen. Wie beim Prinzip des fliessenden Wassers. Seit Juli 2023 bin ich Co-Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands. Mir wird sicher nicht langweilig.
Sie sind so stark engagiert, man hat den Eindruck, Ihre Tage hätten mehr als 24 Stunden. Woher nehmen Sie die Energie für den Tag?
Mein Arbeitstag beginnt schon vor 6 Uhr und endet gegen 22 Uhr oder 22.30 Uhr, wenn ich wieder zu Hause bin. Die Energie für den Tag ziehe ich aus den Erlebnissen, Gesprächen und Begegnungen. Das empfinde ich als sehr bereichernd. Selbstverständlich braucht es auch eine Arbeitstechnik, die das zulässt.
Sie haben mehrere Bücher über die Sowjetunion und das Militär geschrieben. Jetzt hätten Sie Zeit für ein neues Buch …
Das waren mehrheitlich wissenschaftliche Arbeiten. Nein, ein Buch zu schreiben, ist kein Thema.
Auch keine Biografie?
Nein.
Welchen Tipp haben Sie an Ihren Nachfolger als Parteipräsident, Raphael Tobler?
Ich will keine Tipps geben. Die wichtigsten Aufgaben sind, die Reihen hinter sich zu schliessen und die Beziehungspflege.
⋌Interview: Sandro Portmann
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