Léa Spirig
wird künstlerische Leitung im Casinotheater.
Vor 100 Jahren ging in der Schweiz der erste Radiosender auf Sendung. Grund genug für einen Besuch im kultigen Radiomuseum in Winterthur.
Radiogeschichte Gleis 9¾ führt bei Harry Potter in eine magische Welt. In Winterthur ist es ein kleiner, wackliger Lift, der das Portal zu einem technischen Wunderwerk ist – zum Radio. Von aussen deutet nichts darauf hin, dass sich hier im Untergrund an der Obergasse eine der schweizweit bedeutendsten Radiosammlungen befindet. Seit 2015 ist hier das Radiomuseum zuhause.
Das Radiomuseum in Winterthur ist ein Museum auf vier Stockwerken und beherbergt rund 1050 Geräte aus aller Welt. Die Gänge sind schmal. Links und rechts ragen Radios, alte Telefone und Fernseher sowie Telegrafen, Fernschreiber und viele weitere antike Geräte der Telekommunikation bis an die Decke hoch. Darunter befinden sich wahre Schätze. Georg Kern, Geschäftsführer des Unternehmens Kern+Schaufelberger, hat das Museum in den letzten Jahren mit grosser Sorgfalt aufgebaut. Mit grösster Behutsamkeit nimmt er ein kleines Gerät aus der Vitrine: «Das ist ein Microdion aus dem Jahr 1922. Mit seinen 101 Jahren ist es eines der ältesten Radios der Schweiz.» Auch zeigt Kern das Radio «Vitus-Monobaby» von 1923. Das Unikat sei eines seiner Lieblinge: «Es ist einzigartig.» Gemäss Kunde war dieses Gerät das dritte, welches die Radiokonzession in der Schweiz bekam. Kern wollte neben all den Radios auch einen Blick auf Seltenheiten im Bereich der Fernseher gewähren. So führte er zum Beispiel an einem Telefunken-TV vorbei, das während der Olympiade von 1936 die grosse Sensation war. Weltweit existieren nur noch 17 Exemplare. Den Kern von Kerns Sammlung bilden die Geräte der 20er-Jahre. Diese gehören alle zur Grundsammlung, die nicht verkauft wird. Erweitert wird der Fundus jedoch stetig mit Geräten nach den 20er-Jahren, die an Auktionen ersteigert und auch wieder verkauft werden können.
«Das erste Mal» lässt sich oft bei Historischem nicht genau bestimmen. Dies gilt auch für die erste Schweizer Radiosendung. Klar ist, dass sich der Bund bereits 1922 per Gesetz als Konzessions- und Oberaufsichtsbehörde die Macht über das neue Medium sicherte. 1923 bewilligte der Bund erste reguläre Radiosendungen mit den Flugfunksendern. Daraus bildeten sich mehrere Radiosender heraus. Im Jahr 1923 ging Lausanne offiziell als erste Funkstation der Schweiz auf Sendung – die Schweiz feiert 2023 somit 100 Jahre Radiogeschichte.
«Früher waren die Radios langlebiger», erinnert sich Georg Kern. «Die Riemen hielten in den 80ern rund 20 Jahre, bevor sie im Gerät verschmolzen.» So lange sei damals die Wiederbeschaffungsgarantie des führenden Herstellers für Rundfunkgeräte gewesen.
Der eidgenössisch diplomierte Verkaufsleiter machte die Meisterprüfung zum Radio- und Fernsehelektriker. Seine Söhne leiten das Hifi-Radio-TV-Geschäft Kern+Schaufelberger in dritter Generation. Kerns Vater und sein Schwager haben dieses 1934 gegründet. «Jeder von uns hat seinen Sektor, ich die Oberaufsicht. Mit dem Museum habe ich aber gar keine Zeit, um viel reinzureden. Das brauche ich aber auch gar nicht, meine Söhne haben mein volles Vertrauen.»
Die Sammlung ist umfangreich. Ein grosser Teil hat Kern 2015 von «Tele-René», einem Elektro-Laden in Luzern, gekauft. Der Luzerner sei ein leidenschaftlicher Sammler gewesen, von dem Kern eine bemerkenswerte Sammlung von sehr seltenen Exemplaren erhalten habe: «René ist manchmal schon um vier Uhr morgens auf dem Flohmarkt gestanden und in die Wagen mit den Verkaufsgegenständen gestiegen, noch bevor diese ausgestellt wurden, um als Erster die Dinge ergattern zu können, die er begehrte.» Der Umzug der Radios nach Winterthur sei eine abenteuerliche Reise gewesen: «Es war Winter und hatte viel Schnee. Deshalb transportierten wir all die wertvollen Geräte auf Schlitten zu unserem Fahrzeug. Wir mussten sehr aufpassen, dass nichts runterfällt und kaputtgeht.» Mit ihrem Renault Trafic machten sie für diesen Umzug 26 Fahrten. Für seine guten Dienste haben sie das vorherige Mietauto gleich behalten.
Im Radiomuseum Winterthur können alte Modelle restauriert werden: «Wenn ein Modell im Originalzustand ist und nicht zu sehr verbastelt wurde, können wir alles wieder zum Laufen bringen», erklärt Kern mit einer ernsten Miene, die dann aber einem Lächeln weicht: «Unser Restaurateur ist ein echter Daniel Düsentrieb – der kann alles.» Dazu benötige es aber ein Schema zum Modell. Von denen habe das Radiomuseum allerdings en masse: «Wir haben ein breites Sortiment, sonst verdient man den Namen Museum nicht. Dazu gehören auch Zeitschriften und Schemas, damit man die Geräte reparieren kann.» Die Sammlung im Radiomuseum Winterthur decke alle Perioden der Radiogeschichte ab und sei ein Querschnitt über die ganze Branche. Diese Autonomie sei für Kern sehr wichtig. Was dem Radioliebhaber an Radios am meisten gefällt, ist der Stil: «Bei mir kommt zuerst die Ästhetik, die Technik erst in zweiter Linie.» Das Radio schaut auf eine hundertjährige Geschichte zurück. Und dass seine Wellen in naher Zukunft schon bald verschallen werden, ist unwahrscheinlich. Janik Schmid
Für einen Besuch im Radiomuseum braucht es eine Anmeldung:
www.radio-museum.ch
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