Filib Steiner
überzeugte in Zolder mit tollen Resultaten.
«Meine schönen Träume spielen sich in der Natur ab», sagt Christoph Blocher. Bild: spo
Mit Michael Künzle, Christoph Blocher und Natalie Rickli feiern gleich drei politische Schwergewichte in Winterthur die Bundesverfassung von 1874.
Politik Wer hat sie erfunden? Die Schweiz gilt als demokratischer Vorzeigestaat in der Welt. Vor genau 150 Jahren, am 29. Mai 1874, änderte die Schweiz ihre Bundesverfassung und gab dem Volk mit der Möglichkeit eines Referendums mehr Macht. Es war die fortschrittlichste Verfassung, die andere Staaten wie etwa die USA inspirierte. Das Jubiläum 150 Jahre Bundesverfassung wird in Winterthur gefeiert, und zwar mit der Bevölkerung. Diese ist am 1. Juni um 11.30 Uhr zum Festakt im Stadthaus eingeladen. Neben der Grussbotschaft von Stadtpräsident Michael Künzle und dem Schlusswort von Regierungsratspräsidentin Natalie Rickli hält Alt-Bundesrat Christoph Blocher die Festrede.
Christoph Blocher, die Schweiz feiert 150 Jahre Bundesverfassung. Kaum jemand nimmt aber davon Notiz. Warum nicht?
Christoph Bocher: Ja leider. Die offizielle Schweiz feiert das Jubiläum nicht, obwohl die Bundesverfassung 1874 fast noch wichtiger ist als die Bundesverfassung 1848, deren 175. Jubiläum zu Recht auch offiziell gefeiert wurde. Aber bis 1874 konnte man in der Schweiz nur wählen. Es gab keine Sachabstimmungen. Mit der Bundesverfassung 1874 bekam das Schweizer Volk auch in der Gesetzgebung das letzte Wort. Dieser Durchbruch zur Volksherrschaft will Bundesbern nicht feiern.
Warum nicht?
Das Referendum ist natürlich ein Mittel, das die Macht der Verwaltung, der Regierung und des Parlaments einschränkt. Zuerst muss man das Volk fragen, bevor man handeln darf.
Also wird das Jubiläum von der offiziellen Schweiz zu wenig gewürdigt?
Eindeutig. Aber wie immer, wenn in der Schweiz – und das freut mich – etwas oben nicht gut läuft, gibt es Leute, die es von unten machen. Ein Komitee hat mich angefragt, ob ich die Festrede halte, und das mache ich sehr gerne.
Nun feiern Sie in Winterthur den Urknall der Demokratie, wie es auf dem Flyer heisst. Worauf dürfen sich die Gäste freuen?
Erstens hat Winterthur einen wichtigen Bezug zur direkten Demokratie in der Schweiz. Winterthur gab den Impuls zur Verfassungsrevision. Das hat 1874 weltweit Furore gemacht. Amerikanische Bundesstaaten haben dann das Referendum nach dem Vorbild der Schweiz übernommen. Und heute noch kennen von den 50 immer noch 39 Staaten Referenden nach unserem Vorbild. Zweitens geht es der Schweiz dank der direkten Demokratie besser als andernorts. Der Stimmbürger kann direkt politischen Einfluss nehmen und entscheiden. Zudem hemmen die Betroffenen die Regierung. Die Regierenden können damit auch weniger Dummheiten anstellen.
Die NZZ schrieb über die Bundesverfassungsrevision von 1874, sie sei eine Sternstunde der Schweizer Geschichte. Welche Bedeutung hat der Vertrag heute noch?
Das war eine Sternstunde, denn die Besonderheit, dass acht Kantone und damals 30 000 – heute 50 000 – Stimmbürger jedes eidgenössische Gesetz vors Volk bringen können, war und ist eine Besonderheit. Und wenn sie in dieser unruhigen Zeit die Zeitungen lesen, dann sehen sie, wie viele Bürger sich in allen Ländern überfahren fühlen und mehr Mitwirkung wünschen. In Deutschland gibt es viele, die sagen, es brauche eine direkte Demokratie wie in der Schweiz.
Also ist die Schweiz auch ein Vorbild für andere Staaten?
Ich bin kein Missionar für die direkte Demokratie in anderen Ländern. Ob die unser System wollen und ob das funktioniert, das müssen diese selbst entscheiden. Die Schweiz hatte nie einen König oder Kaiser. Wir waren von Anfang an ein wilder Haufen, der sich selber organisiert hat. Vielleicht funktioniert es gerade deshalb so gut.
Seit Corona hat die Verfassung sogar Freunde. Hat sie auch Feinde?
Sie hat beides! Politiker wollen eigentlich lieber allein regieren und tricksen darum die Verfassung oft aus. Das merken Sie zum Beispiel bei der grossen Frage, die ansteht, dem neuen Rahmenvertrag mit der EU. Dieser will, dass die Schweiz nicht mehr selber bestimmen kann, sondern dass die EU die Gesetze macht für die Schweiz – und da stört ein Volk, das Nein sagen kann.
Also geht es auch darum, die Neutralität der Schweiz zu erhalten?
Sicher, wenn die Schweiz ihre Zukunft selber bestimmen will, ist die Neutralität zentral. Ein Handelsboykott der EU zum Beispiel und kriegerische Massnahmen gegen andere Länder müsste die Schweiz allenfalls auch nachvollziehen. Wollen wir einen Vertrag unterschreiben, bei dem die EU befiehlt? Darüber müssen Volk und Stände abstimmen können.
Dass die Verfassung mit den Worten «Im Namen Gottes des Allmächtigen» beginnt, wird immer wieder kritisiert, und es stand auch die Streichung zur Diskussion. Ist der Passus noch zeitgemäss?
Das ist der Bezug auf den ersten Bundesbrief von 1291. Mit dieser Präambel wollte man die Fortsetzung des Bundesbriefes der alten Eidgenossen, den erneuerten Rütli-Schwur. Das «Im Namen Gottes des Allmächtigen» können ja alle unterschreiben, denn alle Religionen haben ja einen Gott. Aber die, welche die Präambel weghaben wollen, wollen den alten Bundesbrief nicht mehr, wo es heisst: Wir wollen keine fremden Richter haben.
Die Kunst führt Sie auch immer wieder nach Winterthur: Was verbinden Sie mit dem Ort?
Ich bin ja im Zürcher Weinland aufgewachsen, in Laufen am Rheinfall, also im Einzugsgebiet von Winterthur. Wenn wir mit dem Zug nach Winterthur gefahren sind, kamen wir am Volg-Gebäude vorbei. An der Wand stand das gross geschrieben und wir haben uns als Kinder immer gefragt: Warum müssen die immer «folgen», die Winterthurer – das Mundartwort für gehorchen. Das sind so Erlebnisse, die einem bleiben.
Gab es noch andere Erlebnisse?
Dann – ich bin ja Bauer von Beruf – habe ich seinerzeit die landwirtschaftliche Schule in Winterthur-Wülflingen besucht. Jeden Abend sind wir wieder mit dem Zug nach Hause gefahren. Periodisch gab es in Winterthur etwas Wunderbares, nämlich klassische Konzerte, zu denen jeder gehen konnte, ohne Eintritt zu bezahlen. Wir Landwirtschaftsschüler hätten uns ein solches Ticket nicht leisten können, und so hat so mancher Bauer Freude an der klassischen Musik bekommen. Und schliesslich ist Winterthur natürlich eine Kunststadt.
Sie beherbergen auch Winterthurer Musikvereine auf der Musikinsel Rheinau. Dort kam es nun zu einer Kompromisslösung. Statt um 50 zusätzliche Betten können Sie um nur 40 Betten erweitern. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Lösung?
Es ist der Anfang einer allfällig positiven Lösung. Es ist so, dass wir die Musikinsel Rheinau betreiben, eine grosse Übungsstätte für Musiker, vor allem für Laienmusiker, die sich zwei, drei Tage in diesem wunderbaren Kloster zurückziehen wollen. Ich habe die Stiftung (MIR) gegründet und diese hat für 15 Jahre den grössten Teil des Klostergebäudes gemietet. Es war ein grosses Wagnis, aber es läuft sehr gut. Wir brauchen mehr Betten. Die MIR möchte den Mitteltrakt des Gebäudes nutzen. Das möchte aber auch ein Verein, um dort ein Museum zu realisieren. Wir haben lange nach Lösungen gesucht, und jetzt sieht es so aus, als ob beides möglich wäre, das Museum und die Erweiterung der MIR. Aber leider nur mit 40 Betten. Wir bräuchten 50. Nicht genügend, aber immerhin etwas.
Sie träumen, habe ich gelesen, seit über 30 Jahren von der Abschaffung der Sommerzeit. Wovon träumen Sie noch?
Als wir die Sommerzeit eingeführt haben, war ich Präsident der Zürcher SVP, die treibende Kraft fürs Referendum. Die Stimmbürger haben damals die Sommerzeit abgelehnt. Sie wurde dann später trotzdem eingeführt. Gerade träumen davon tue ich also nicht. Wenn ich träume, habe ich vor allem Angst, dass ich das, was ich alles machen muss, nicht bewältigen kann oder keine Kraft dazu habe. Das ist nicht ganz angenehm, aber ich kann trotzdem schlafen.
Und schöne Träume?
Natürlich habe ich auch wunderbare Träume. Ich war ja früher Berggänger und habe oft Träume über eine Besteigung eines Viertausenders bei herrlichem Wetter.
Haben Sie selbst einen Viertausender bestiegen?
Ja, aber nicht sehr viele und immer mit einem Bergführer, nie allein. Das ist etwas Wunderbares. Aber das lasse ich heute, schon allein wegen des Alters. Meine schönen Träume spielen sich in der Natur ab.
Das widerspiegelt sich auch in Ihrer Kunstsammlung. Viele Werke zeigen eine malerische Landschaft.
Ja, vor allem Hodler. Von Ferdinand Hodler besitze ich vor allem seine Landschaften. Aber ich habe auch sehr gerne Menschen. Der Hauptkünstler, der bei mir vertreten ist, ist Albert Anker. Der stellt den Menschen in den Mittelpunkt, vor allem das Kind.
Interview: Sandro Portmann
Lade Fotos..