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ist an zwei Gospelkonzerten zu hören.
25 von 64 Ampelanlagen in Winterthur sind veraltet. Bild: Corinne Päper
Jeder kennt das: Man steht vor der Ampel und wartet auf Grün – oder hetzt über die Strasse, weil es bereits wieder rot wird. Einblick in die Verkehrslenkung.
Verkehr Wer bei der Ampel vor dem Alterszentrum St. Urban Seen auf den Knopf drückt, wartet eine gefühlte Ewigkeit, bis er den Zebrastreifen überqueren kann. Dann muss er sich allerdings beeilen, um die andere Strassenseite zu erreichen, bevor die Ampel wieder auf Rot schaltet. Vielen Winterthurerinnen und Winterthurern geht es ähnlich: Es dauert ihnen zu lang, bis die Ampeln für Fussgänger in der Stadt auf Grün schalten. Das zeigt eine Studie von Umverkehr, Fussverkehr Schweiz und der Hochschule für Technik in Rapperswil, in der 16 Städte untersucht und 260 Winterthurerinnen und Winterthurer befragt wurden.
In der Studie aus dem Jahr 2020 schneidet Winterthur im Vergleich zu anderen Städten durchschnittlich ab. Das hat nicht nur mit der Ungeduld der Fussgängerinnen und Fussgänger zu tun, sondern auch mit dem Investitionsstopp der Eulachstadt: Während zehn Jahren wurden keine Ampelanlagen ersetzt. Vielerorts ist die Technik deshalb veraltet und so beispielsweise nicht in der Lage zu erkennen, ob sich noch Fussgängerinnen und Fussgänger auf der Strasse befinden, um die Grünphase situativ zu verlängern. Mit einer ungefähren Lebensdauer von zwanzig Jahren für eine Ampelanlage sind heute rund 25 von 64 sanierungsbedürftig. So auch jene in Seen. Nun kommt Bewegung in die Sache: In den nächsten drei bis vier Jahren will die Stadt 12 bis 15 ältere Anlagen ersetzen und zwei bis drei neue bauen. Doch auch mit neuen Ampelanlagen werden Fussgängerinnen und Fussgänger in Winterthur künftig nicht überall automatisch erkannt. Das wäre zu teuer und technisch zu komplex. Eingesetzt wird die komplexere Technologie lediglich an kritischen Stellen: beispielsweise bei Schulwegen.
Im grauen, unscheinbaren Kasten an der Zürcherstrasse befindet sich viel Technik: Zwei Reihen schwarzer und grauer Kabel sind darin säuberlich eingeklemmt. Sie steuern die Ampelanlage beim Superblock an der Zürcherstrasse, während eine Miniatur-Heizung sicherstellt, dass diese auch im tiefsten Winter funktioniert. Auf der Strasse sind es verschiedene Induktionsschleifen im Boden, die bewirken, dass die Ampel heranfahrende Autos und Busse erkennt. Aufgrund der Verkehrslage sowie der programmierten Steuerungsregeln wechselt sie dann situativ auf Grün. Wer zu Fuss geht, muss sich hier dagegen per Knopfdruck an der Ampel «anmelden». Automatisch funktioniere das auch anderswo in der Stadt (noch) nicht, sagt Nelson Carrasco, Leiter Verkehrsmanagement der Stadt Winterthur. Das habe verschiedene Ursachen: Ein Auto fahre normalerweise immer auf einer Spur und werde durch Induktionsschleifen im Boden bei jedem Wetter erkannt. Passanten zu identifizieren, sei technologisch dagegen anspruchsvoller: «Ein zu Fuss Gehender kann plötzlich anhalten, weiterlaufen oder umkehren.» Deshalb könne eine Ampel – egal mit welcher Technik – das Verhalten eines Menschen auch nicht hundert Meter im Voraus erkennen und für Fussgänger vorzeitig auf Grün schalten. Zudem können die auf den Ampeln montierten Kameras bei Starkregen und Schnee Passanten oft nicht mehrerkennen.
Wie lange es für Fussgängerinnen und Fussgänger in Winterthur grün bleibt, beruht auf Berechnungen der Normierungsorganisation im Strassen- und Verkehrswesen VSS. Demnach legt ein durchschnittlicher Fussgänger rund 1,2 Meter pro Sekunde zurück. Bei Geh- und Sehbehinderten rechnet die Organisation mit 0,8 Metern pro Sekunde. Zeiten, die gemäss Dominik Bucheli von Fussverkehr Schweiz bei kurzen Strassenüberquerungen jedoch problemlos eingehalten werden können. Falls man sofort bei Grün losgeht. «Langsamere Personen, die den Beginn einer Grünphase verpasst haben, sollten eine neue abwarten», empfiehlt Bucheli.
Längere Grünphasen für alle Fussgängerinnen und Fussgänger zu fordern, sei nicht per se zielführend, sagt Bucheli: «Längere Grünzeiten bedeuten auch längere Rotzeiten für andere.» Das heisst nicht nur für Autos, Velos und Busse, sondern auch für andere Fussgängerinnen und Fussgänger. Besser sei, vermehrt kürzere Grünphasen einzuplanen. Dann müssten es Passanten allerdings auch noch bei Orange schaffen, die Strasse zu überqueren. Eine optimale Grün-Rot-Schaltung zu finden, ist jedoch nicht einfach: «Um Grünphasen zu optimieren, lohnt es sich, Konfliktbereiche zwischen zu Fuss Gehenden, Velo- und Autofahrern sowie Bussen zu beobachten und die Phasen auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden situativ anzupassen», ergänzt Bucheli. Das reicht nicht immer: «An manchen Orten braucht es bauliche Massnahmen, um die Strassenüberquerung zu verkürzen.» Beispielsweise wenn viele Fahrspuren zu langen Gehzeiten führen. Darüber hinaus helfen auch neue Technologien, Grünphasen besser zu gestalten. Etwa mit Wärmebildkameras, die auf Zebrastreifen befindliche Menschen erkennen und die Grünzeiten automatisch verlängern. Eine solche Ampelanlage befindet sich in Winterthur an der Stelle, wo sich Vogelsang- und Breitestrasse kreuzen und ein wichtiger Schulweg verläuft. «Künstliche Intelligenz wird in Winterthur aber noch nicht eingesetzt», verrät Carrasco. Dennoch kann die Stadt bei Bedarf ins Verkehrsgeschehen eingreifen, denn die Ampeln sind über ein Glasfasernetz an einen zentralen Verkehrsrechner angeschlossen und teilweise miteinander vernetzt. «Bei hohem Verkehrsaufkommen werden sie in Echtzeit über die Software umgeschaltet, darüber können aber auch Störungen behoben oder eine ‹grüne Welle› zwischen miteinander verbundenen Anlagen geschaltet werden.» Letzteres wiederum bedeutet: Fussgängerinnen und Fussgänger warten länger.
Corinne Päper
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