Huhn Sophie
gackert in der Goliath-Show im Casinotheater.
Die Historikern Nadia Pettannice ist von der Brauereigeschichte begeistert. Auf dem Haldengut-Areal hebt sie historische Schätze.
Industriegeschichte Das silbern glänzende Teil, das an eine riesige Amphore erinnert, steht auf einem Rollwagen. Zwei Frauen, eine davon ist die Historikerin Nadia Pettannice, schieben das Ungetüm auf den Innenhof. Es ist der 11. September und Medienanlass auf dem Areal der ehemaligen Brauerei Haldengut Winterthur.
«Dies ist der Rolls Royce der Brauereikunst, eine Hefebirne», sagt Nadia Pettannice, die als Gastkuratorin der «Ausstellung ObjektWerkStadt» fungiert, die seit dem 14. September im Museum Schaffen Winterthur zu sehen ist. Noch werden die Objekte auf Hochglanz poliert.
«In der Hefebirne wurde die Würze mit der Hefe vermischt. Die Hefebirne dient zur Aktivierung der Hefe mittels Luftzufuhr», erklärt Jochen Holzschuh, einer der Helfer. Für die Reinigung der historischen Objekte haben sich rund 15 Freiwillige gemeldet. «Wir haben die richtigen Helfer vor Ort, wie Max Weber vom Verein Diesellokomotiven. Er hat die Rosie innert kurzer Zeit zerlegt, dass wir sie aus dem Raum brachten. Die Rosie, das ist eine Abfüllanlage für Partydosen. Überhaupt hat die Historikerin den Maschinen und Objekten liebevolle Namen verpasst, die Brauereibirne trägt den Übernamen Yeastina (von yeast, Hefe).
«Die Brauerei Haldengut zählt zu den am besten dokumentierten Industriebetrieben der Stadt Winterthur», sagt die Historikerin. Von Sulzer oder Rieter gebe es viel weniger Material. Firmengründer Fritz Schoellhorn sei ein Sammler gewesen, aber ein ordentlicher Sammler. «Hier auf dem Areal der Brauerei Haldengut finden wir Akten, Fotos und Objekte zusammen vor, ein seltener Fall. So können wir uns der Biografie rückwärts annähern.»
«Ich trinke zwar selbst kein Bier», verrät sie. Da sie in der Psychiatrie im Drogenentzug gearbeitet habe, sei Alkohol kein Thema für sie. «Trotzdem finde ich die Geschichte der Brauerei Haldengut sehr faszinierend.» Als Historikerin habe sie zuerst Vorurteile gegenüber dem Firmengründer gehabt. «Da ist einer Oberst, kommt auf dem hohen Ross daher und ist ein Patron alter Schule. Aber wir haben uns kennen und lieben gelernt», sagt Pettannice.
Die Historikerin freut sich, dass sich Heineken, zu dem Haldengut mittlerweile gehört, dazu entschlossen hat, ihr Firmenarchiv zu öffnen. «Es gibt kein Gesetz, das Firmen dazu verpflichtet, ihre Archive offenzulegen.» Umso schöner sei es, dass das Archiv von Haldengut zugänglich gemacht worden sei, zumal Historiker mit Firmen in der Vergangenheit nicht zimperlich umgegangen seien.
Die Historikerin schlägt den Bogen in die USA. Dort herrschte von 1920 bis 1933 die Prohibition. Viele Kleinbrauereien seien eingegangen, während nur grossen Brauereien übrigblieben. Andreas Schoellhorn, der Urenkel des Firmengründers meldet sich zu Wort: «Es bestand die Befürchtung, dass diese Bewegung zu uns überschwappen würde und auch bei uns eine Prohibition eingeführt werden könnte.»
«Die Schweiz war ursprünglich ein Weinland», ergänzt Pettannice. Am Standort der Haldengut sei Wein produziert worden. «Die Lage für eine Brauerei ist katastrophal schlecht gewählt, hier gibt es nicht mal Wasser.» Schon damals befand sich neben der Fabrik das Kantonsspital. «Die Fabrikpfeife, die um 6 Uhr früh loslärmte, weckte nicht nur die Fabrikarbeiter, sondern auch die Patienten des Spitals.» Sie wurde deshalb stummgestellt. «Bier brauen war vor der Industrialisierung übrigens Frauensache», so Pettannice.
«Die Geschichte des Biers in Winterthur ist eine Migrationsgeschichte», so die Historikerin. «Fritz Schoellhorn wanderte aus Deutschland ein und brachte die Kenntnisse des Bierbrauen mit.» Damals hätten sechs Liter Bier pro Tag zum Lohnbestandteil gehört.
In einem Zelt, ebenfalls auf dem Innenhof, arbeiten die Restauratorinnen Eldodie Granget und Alexandra Lefebvre. Sie sind in Ganzkörper-Schutzanzüge gekleidet. Das Gespräch ist nur durch ein Plastikfenster möglich. «Für uns ist es aussergewöhnlich, mit Brauerei-Objekten zu arbeiten», sagen sie. Aktuell sind sie dabei, eine Filteranlage namens Jakobine von Asbest zu befreien. «Früher bestanden die Filtermatten, durch die das Bier gefiltert wurde aus Asbest», weiss Pettannice.
Sie deutet auf ein Holzobjekt. «Hier war der Holzwurm aktiv.» Um ihn loszuwerden, könne man das Objekt entweder mit einem Stickstoffbad behandeln oder in den Backofen schieben. Nach drei Stunden Backzeit sei der Holzwurm Geschichte. Pettannice greift zu ihrem Handy und schaltet die kostenlose Web-App Wintidings.ch auf. «Diese ist wie Tinder aufgebaut, man kann mit dem erfundenen Holzwurm Charlie chatten.» Verschiedene Objekte buhlen auf der App um die Gunst des Publikums, die beliebtesten werden sind dann real in der Folgeausstellung im Museum Schaffen ab nächsten April zu sehen sein.
«Am liebsten würde ich alle Objekte zeigen, den alle hätten es verdient, ins Museum zu kommen.
Claudia Naef Binz
museumschaffen.ch
wintidings.ch
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