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ist an zwei Gospelkonzerten zu hören.
Winterthur kürzt das Budget bei den befristeten Kulturprojekten. Das trifft die Kleinsten. Die städtische Kulturszene ist
Kulturkampf Winterthur ist eine Kulturstadt. Unverkennbar ist das für alle, die von auswärts mit dem Auto nach Winterthur kommen. Autobahnschilder werben mit «Kulturstadt Winterthur». Erwähnt werden die bekannten Institutionen wie das Kunst Museum oder das Technorama. Diese beiden zählen mit dem Musikkollegium sowie dem Theater Winterthur zu den vier grossen Kulturinstitutionen der Stadt. Die Stadt hat mit ihnen unbefristete Subventionsverträge abgeschlossen. Zu ihnen trägt die Stadt Sorge. Wie sie kürzlich mitteilte, erhalten die grossen vier rückwirkend für das Jahr 2023 einen Teuerungsausgleich in der Höhe von 1,64 Prozent. Das kostet die Stadt Winterthur 161 370 Franken. Und doch rumort es in der Kulturszene. Die anderen Kulturbetriebe fühlen sich vernachlässigt. Am Montag wurde im Parlament das Budget gekürzt. Für befristete Beiträge hat die Stadt nun statt 700 000 noch 600 000 budgetiert. Ein Versuch der SP am vergangenen Montag, dies zu korrigieren, blieb erfolglos. Ebenso wurde das Budget für das Kulturmarketing um 50 000 Franken gekürzt.
«Die Stimmung in der Winterthurer Kultur ist derzeit angespannt und gereizt – um es freundlich auszudrücken», sagt Nicole Mayer, Co-Präsidentin der Kulturlobby Winterthur. «Wir nehmen die Stimmung durchaus auch als gehässig und frustriert wahr. Es macht sich Unmut breit. Das hat viel mit Wertschätzung zu tun, die zurzeit wenig spürbar ist.» Die Kultur leiste viel für die Stadt und sie mache dies für verhältnismässig wenig Geld. Im Städtevergleich der zehn grössten Schweizer Städte hinkt Winterthur mit den Kulturausgaben hinterher. Geben die grössten Städte im Durchschnitt 3,5 Prozent der Gesamtausgaben für Kultur aus, so sind es in Winterthur 2,1 Prozent. «Viele sind müde und blicken nicht allzu optimistisch auf ihre Zukunft in Winterthur», so Mayer. Stadtpräsident Mike Künzle, der als Redner gern Winterthur als Kulturstadt hervorhebt, betonte an der Verleihung des städtischen Kulturpreises am Dienstag die Bedeutung der Kunst für die Gesellschaft. «Kunst ermöglicht uns einen anderen Blick auf die Welt», so Künzle. Das sei immer spannend und bereichernd. «Mir liegt die Kultur am Herzen, auch wenn mir das hier nicht alle glauben», sagte er in die Runde der Kulturschaffenden – und das Publikum glaubte ihm.
Die Stadt steckt im Dilemma. Die Finanzaussichten für die kommenden Jahre sind düster. In den Jahren 2026 und 2027 rechnet die Stadt mit einem Minus von rund 85 Millionen Franken. «Das Zauberwort für die Kultur sind grosse, bedeutende Institutionen sowie eine grosse Vielfalt. Das wollen wir nicht hinterfragen. Es braucht grosse und kleine», sagte Künzle am Montag im Stadtparlament. Nach dem erfolglosen Antrag, das Marketingbudget um 50 000 Franken zu erhöhen, sagte der Stadtpräsident: «Es gibt viele gute Ideen für die Kulturstadt, um sie grösser und stärker zu machen. Wir müssen aber schauen, was ist realistisch und finanzierbar. Wir versuchen beim Marketing viel über das House of Winterthur zu machen.»
Für welche Kulturinstitutionen die Kürzung nun lebensbedrohlich ist, das sei schwierig zu beurteilen, sagt Nicole Mayer von der Kulturlobby. «Was man aber festhalten kann undmuss, ist, dass unter den prognostizierten Bedingungen keine Weiterentwicklung möglich ist und das Angebot tendenziell kleiner und weniger vielfältig werden wird.» Und eine vielfältige Kulturlandschaft hat sich die Stadt nicht nur auf die Fahne geschrieben, sondern auch als langfristiges Ziel definiert. «Winterthur ist eine Kultur- und Bildungsstadt mit grosser Ausstrahlung und überraschender Vielfalt», schreibt die Stadt in ihrem Legislaturprogramm.
«Die Ernsthaftigkeit einer städtischen Kulturförderung zeigt sich nun mal auch in den Mitteln, die für die Kultur gesprochen werden, und da trägt eine Stadt auch eine Verantwortung gegenüber ihrer Bevölkerung und den Kulturinstitutionen und -schaffenden. Und hier zeigt sich Winterthur zurzeit nicht von einer guten Seite, obwohl sie sich Kulturstadt nennt», sagt Nicole Mayer.
Immerhin ist Besserung in Sicht: Laut Finanzplanung will die Stadt ab 2025 wieder mehr im Bereich der befristeten Subventionsverträge ausgeben, 300 000 Franken sind zusätzlich veranschlagt. Rund zwanzig Institutionen – vom Fotomuseum über das Gaswerk bis zum Theater am Gleis – profitieren davon. Im letzten Jahr hat die Stadt rund 3,2 Millionen Franken in diesem Bereich ausgegeben. Zum Vergleich: Die vier grossen Kulturhäuser erhielten rund elf Millionen Franken. Also alles gut? Der Schein trüge, so Mayer. «Nimmt man die erwähnten 100 000 Franken, die ab 2024 eingespart werden und die 200 000 Franken, die bisher fürs Sommertheater budgetiert waren, Ende 2022 aber per Parlamentsbeschluss ersatzlos gestrichen wurden, interpretieren wir hier eine Nullrunde.» Seit 2017 gebe es keine Verbesserung bei den befristeten Subventionsbeiträgen. «Dass jetzt mehr gefordert wird, scheint uns nicht nur ganz normal, sondern angesichts der anstehenden Herausforderungen wie Teuerung, Diversität, Nachhaltigkeit etc. auch aus professionellen Überlegungen legitim.»
Was benötigt die angeschlagene Kulturszene? «Wir könnten jetzt sagen: mehr Geld! Und ja, es geht auch darum. Damit würden wir es uns aber zu einfach machen und nicht zum ersten Mal mit dem Vorwurf konfrontiert, immer noch mehr zu wollen. Wünschen tut sich die Kulturszene vor allem auch Wertschätzung für das, was sie für diese Stadt und ihre Lebensqualität leistet», so Mayer.
⋌Sandro Portmann
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